Leidenschaft und Affekt bei Kant


Leidenschaft und Affekt bei Kant

Jean Yhee

 

Kant schreibt in seiner dritten Kritik über den Unterschied zwischen Leidenschaften und Affekten folgendermaßen:

“Affecten sind von Leidenschaften specifisch unterschieden. Jene beziehen sich bloß auf das Gefühl; diese gehören dem Begehrungsvermögen an, und sind Neigungen, welche alle Bestimmbarkeit der Willkür durch Grundsätze erschweren oder unmöglich machen. Jene sind stürmisch und unvorsätzlich, diese anhaltend und überlegt: so ist der Unwille als Zorn ein Affect; aber als Haß (Rachgier) eine Leidenschaft. Die letztere kann niemals und in keinem Verhältnis erhaben genannt werden; weil im Affect die Freiheit des Gemüths zwar gehemmt, in der Leidenschaft aber aufgehoben wird.” (KdU, 1905 Bd.5, 272)

Hier hat Kant die Bestimmbarkeit der Affekten und der Leidenschaften, die übrigens in meiner These doch von vorne an nicht wie bei Kant so stark unterschieden werden, als fast unbestimmbar definiert. Aber war die Bestimmbarkeit oder die Veränderlichkeit eigentlich, ganz im Gegenteil, nicht die Eigenschaft, oder sogar die Definition der Affekten und der Leidenschaft selbst? Dem scheinbar beharrlichen Zustand der Leidenschaften muss man seine dynamische Natur auch ablesen können. Diese scheinbar widersprüchliche Doppelnatur der Affekten (und der Leidenschaften), nämlich die mysteriöse Symbiose der Beharrlichkeit und der Veränderlichkeit, bietet uns eine interessante Perspektive an, womit wir die menschliche Natur besser verstehen können.

Kant seinerseits versucht weiter, das ästhetische Moment bei dem Erhabenen zu retten, in dem er behauptet, dass auf einem vorbestimmten Zustand der Affekten, nämlich einen zwar gehemmten aber noch relativ freien Gemüts zu erkennen sei.

Mir scheint sein Versuch ja ein rein theoretisches Wagnis zu sein, wobei man versucht, nicht eine passende Antwort zur gegebenen Frage, sondern eine passende Frage für die Antwort zu finden. In anderem Wort, versucht man mit Kants These, die menschliche Bedingung zu einem ästhetischen Erkenntnis nicht aus dem realen Leben zu finden, sondern jene Bedingung ohne zureichende empirische Grundlage vorzubestimmen und das jener Bestimmung passenden Image eines ästhetischen Erkenntnis als die Antwort vorzubereiten.

Wichtig ist doch eine empirische und dynamische Betrachtung über das Zusammenspiel der geistigen und körperlichen Modi der Menschen auszuführen. Denn nicht nur die Affekten (und die Leidenschaften), sondern der ästhetische Zustand selbst liegt unter dem Einfluss von der (inneren und äußerlich) ‚Natur’ (im spinozistischen Sinne) und ändert sich ständig. Die permanente (Ver)änderung ist der Kern, auf den ich in meiner These mittels eines Begriffes ‚Leiden'(pati) eingeht. Die permanente Änderung ist nichts anders als die Modi, oder die Art und Weise der Existenz, die Modifizierung des Seins.

Nun zurück zum Kant. In diesem Kontext lässt sich verstehen, warum Kant an mehren Stellen eine überraschend traditionale Stellungsnahme zu dem Verhältnis der Vernunft zu den Affekten zeigt. Z.B. schreibt Kant,

“Und wenn der Affect ein Rausch ist, die Leidenschaft eine Krankheit sei, welche alle Arzeneimittel verabscheut und daher weit schlimmer ist, als alle jene vorübergehende Gemüthsbewegungen”(Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, 1907 Bd.7, 265f)

Oder, “Affecten und Leidenschaften unterworfen zu sein, ist wohl immer Krankheit des Gemüths; weil beides die Herrschaft der Vernunft ausschließt.”(ebenda, 251)

Eine solche Meinung, die Überlegenheit der Vernunft zu den Affekten, wird weiter in der dritten Kritik weiter zu vertreten, in einer neuen Konstellation, weil es nun auf die Hierarchie zwischen dem guten Geschmack und dem Genie ankommt.

Kant setzt damit eine starke Trennung zwischen der Vernunft und dem anderen Bereich vor, den z.B. Baumgarten ‚die untere Erkenntnis’ genannt hat, und somit wird das Zusammenspiel zwischen Körper, das z.B. bei Spinzoa sich als ‚Affekten’ oder ‚imaginatio‘ ergeben, nicht mehr als die unerlässliche Komponente des ästhetischen Urteils anerkannt. Obwohl “Kant in seiner Anthropologie die Absolutheitsanspruch der Vernunft gegen den Absolutheitsanspruch der Vernunft in Schutz nimmt”(Art. Passion/Leidenschaft, Dieter Kliche, s.712, Bd.4, Ästhetische Grundbegriffe), führt seine Bestimmung über die Unbestimmbarkeit der Leidenschaften folgenreich “zur Trennung der Verbindung von Leib und Gefühl”(ebenda, bemerkenswert ist da angeführte Position Diltheys über die absolut geistige Natur des Ästhetische).

 

– Jean Yhee

Letzte Korrektur am 2009.05.1


Leave a comment